Stray Children erscheint in englischer Sprache und bringt Onion Games' Märchen-RPG einem globalen Publikum näher.
Stray Children betritt den englischsprachigen Markt mit einem Ton, der – trotz seiner fantastischen Elemente – beunruhigend realitätsnah wirkt. Onion Games, das Studio hinter Moon: Remix RPG Adventure, stellt die Kindheit weniger als verklärte Erinnerung dar, sondern vielmehr als Schlachtfeld, auf dem Unschuld und Fantasie mit der Last der Unsicherheit des Erwachsenenalters kollidieren. Das Ergebnis ist ein Spiel, das die Jugend nicht als nostalgischen Zufluchtsort, sondern als aufgeladenen Raum betrachtet, in dem die emotionalen Schwächen der Erwachsenen groteske Formen annehmen und einer Konfrontation bedürfen.
Die Prämisse ist simpel: Kinder leben in einem befestigten Zufluchtsort. Jenseits seiner Grenzen streifen Erwachsene umher, hier als Ältere bezeichnet, die Groll, Zweifel und Reue in sich tragen, als wären sie sichtbar und als Waffe einsetzbar. Kämpfe folgen dieser emotionalen Logik, nicht physischer Gewalt. Gespräche werden zum wichtigsten Werkzeug, nicht im oberflächlichen Sinne einer sozialen Simulation, sondern in gezielten, stichelnden Auseinandersetzungen, die darauf abzielen, die Psyche dieser gewaltigen, unberechenbaren Gestalten zu knacken. Der Ansatz erinnert an Undertale, doch Stray Children wirkt keineswegs abgeleitet. Die Welt besitzt eine ganz eigene Fremdartigkeit: Baumhäuser über Flüssen, U-Boot-Fahrten, Kuriositäten wie Eiszapfen-Geschosse der Liebe. Sie bewegt sich mit der erfinderischen Unberechenbarkeit, die Onions frühere Werke prägte.
Das Kampfsystem kombiniert rundenbasierte Befehle mit Ausweichmanövern in einem Kugelhagel – eine Struktur, die in Spielen, die auf Konfrontation und Empathie basieren, bereits eine starke emotionale Wirkung entfaltet. Hier sind die Kugeln Metaphern: quiekende Ferkel, die über den Bildschirm flitzen, Ausbrüche von aufgestauter Frustration, Angriffe, die weniger an Waffen als vielmehr an Wutanfälle und Enttäuschungen erinnern. Das Spiel fordert die Spieler auf, diesem Trommelfeuer lange genug standzuhalten, um die Motivation jedes Gegners zu ergründen. Wie es auf der Steam-Seite heißt:
„Weiche geschickt dem unerbittlichen Trommelfeuer ihrer unterdrückten Gefühle aus und entdecke den Ursprung ihrer seltsamen Geschichten.“
Sieg bedeutet selten, einen Feind zu überwältigen. Es geht darum, im richtigen Moment das Richtige zu sagen und dann standhaft zu bleiben, wenn der nächste emotionale Sturm losbricht.

Die Grundidee birgt Humor, der jedoch auch eine gewisse Schärfe besitzt. Sticheleien wie „Weißt du noch, ob du mal Haare hattest?“ wirken zwar ironisch, doch die tiefere Botschaft geht unter die Haut. Die Erwachsenen in Stray Children sind keine Bösewichte im klassischen Sinne. Sie sind gebrochene Persönlichkeiten, belastet von unerfüllten Erwartungen und innerem Unbehagen. Die Kinder konfrontieren sie nicht, um sie zu zerstören, sondern um die Ursachen ihres Verhaltens aufzudecken. Die Aufforderung des Spiels, das Ende nicht zu spoilern, unterstreicht, dass es hier nicht um Eroberung, sondern um Offenbarung geht.
Das Team hinter Stray Children verleiht dieser Veröffentlichung besondere Bedeutung für alle, die mit klassischen Rollenspielen aufgewachsen sind. Regisseur Yoshiro Kimura hat unter anderem an Romancing SaGa 2 und Rule of Rose mitgewirkt, einem Spiel, das bis heute für seine beklemmende Atmosphäre und die Auseinandersetzung mit Grausamkeit und Verletzlichkeit in Erinnerung geblieben ist. Art Director Kurashima Kazuyuki war an Live A Live und Super Mario RPG beteiligt, während Komponist Hirofumi Taniguchi an Suikoden und Contra: Hard Corps mitgearbeitet hat. Diese Erfahrung dient nicht der Nostalgie, sondern zeigt, dass das Spiel von Entwicklern stammt, die mit Risiko, Umfang und emotionaler Tiefe vertraut sind. Ihre gemeinsame Geschichte überschattet das Werk nicht; sie trägt vielmehr dazu bei, die Selbstsicherheit zu erklären, die sich in Ton und Spielmechanik widerspiegelt.
Die ersten Reaktionen der Community reichen von spielerisch bis ernsthaft. Steam-Nutzer scherzen über das Spiel als „Undertale, aber heterosexuell“, obwohl ein selbsternannter Bug-Tester die Spieler davor warnt, Vergleiche mit Moon oder Toby Fox’ Kultklassiker zu erzwingen. Der Vergleich wird dennoch bestehen bleiben. Indie-RPGs, die Pazifismus, emotionale Strategie und surreale Welten in den Mittelpunkt stellen, werden immer mit Undertale verglichen werden. Stray Children akzeptiert diese Diskussion und geht darüber hinaus. Das Spiel imitiert nicht, es hinterfragt. Es knüpft an eine Reihe von Titeln an, die weniger an Machtfantasien als an Verletzlichkeit und der seltsamen, unberechenbaren Kraft der Empathie interessiert sind, wenn Regeln verschwimmen und Emotionen hochkochen.
Die von den Entwicklern ausdrücklich gewünschte Zurückhaltung, über das Ende zu sprechen, deutet auf eine narrative Wendung hin, die eher auf Überraschung und Reflexion als auf Schockeffekte setzt. Onion Games und seine kreativen Köpfe sind dafür bekannt, Genrekonventionen zu durchbrechen. Allein das macht Stray Children zu einem Spiel, das man auch nach dem Release im Auge behalten sollte. Es mag kein breites Mainstream-Publikum ansprechen, aber seine Perspektive hat eine ganz eigene Bedeutung.
Das Studio plädiert für eine einfache Botschaft: Spielen, beobachten, interpretieren und dann das Geheimnis bewahren. Spiele streben oft nach Aufmerksamkeit. Hier wird Diskretion Teil des Erlebnisses. Stray Children präsentiert sich nicht als Spektakel, sondern als stille Herausforderung gängiger Erzählkonventionen – eine Erinnerung daran, dass Fantasie auch mal schmerzen kann und dass eine ehrlich betrachtete Kindheit selten sanft ist.


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